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Montag, 21. Mai 2007

Erlebt und erlitten: Bildungsferne Familie

Der vorherige Post erinnert mich an eine wahre Geschichte. Es ist schon eine Weile her und ich befand mich in einer Phase des Zweifels am Nutzen der Ordnungsliebe unseres deutschen Volkes. Dieses Phänomen manifestiert sich bekanntermaßen in der Affinität zu Vereinsgründungen, Gartenzäunen und diesen lustigen „Warentrennern“, die man nutzt, um seine Gemarkung auf dem Kassenband abzustecken. Ob das Ding offiziell den Namen „Warentrenner“ trägt oder nicht ist nicht abschließend zu klären, aber ich hoffe Ihr wisst, um was es sich handelt. Ich verzichtete (ich war eben in meiner rebellischen Phase) am Ende meines Einkaufs in einem Discount-Laden also auf den „Warentrenner“ und legt das von mir gewählte Buch (es war ein Gag für eine Geburtstagsfeier am gleichen Abend, zu viel mehr taugen die bei dem besagten Discounter angebotenen Bücher selten) in respektvollem Abstand zu den Waren der netten Familie vor mir auf das Kassenband. Um sich die erwähnte Familie bildlich vorzustellen, bietet sich eine Exkursion in die Tiefen des nachmittäglichen TV-Programms an. Diese Familie (Vater, Mutter, Tochter, Sohn) erfüllte einige der in den besagten TV-Shows zu Genüge transportierten Klischees. Auch die Parallelen zwischen Warenkorb und den phänotypischen Resultaten wären locker einen eigenen Post wert.

Kommen wir also zu der spannenden Stelle: Die Tochter räumte die gescannten Waren in den Wagen, der Vater überwacht den Vorgang und hält das Portemonnaie mit der Kette in der Hand, die Mutter sichert das alles nach hinten ab und der Sohn schwirrt als Libero durch die Reihen. Als sich die Anzahl der Waren auf dem Kassenband auf eine überschaubare Menge reduziert hatte (anscheinend wurde kurz vor dem Einkauf der Monatslohn ausgezahlt) fiel der Blick der Sohns auf mein Buch (es war eben nicht durch einen „Warentrenner“ separiert). Entsetzt und ängstlich zugleich kommt seine Frage: „Mami, seit wann lesen wir denn Bücher?“. Die Mutter entdeckt das Objekt und schnauzt ihre Familie vorwurfsvoll an: „OK, wer hat das Buch mitgenommen?“ Fragende Blicke der ganzen Familie. Ich sah meinen Einsatz: „Entschuldigung, das ist mein Buch.“ Die Mutter inspizierte mich mit ihren Blicken von oben nach unten und konnte fassungslos nur noch ein: „So sehen Sie auch aus!“ erwidern. Als ich dieses Erlebnis einem Bekannten schilderte, hörte ich erstmalig den Begriff „bildungsferne Familien“.